Tagebuch

Wie ein gestrandeter Wal



Es begann alles mit einem lauten Knall und einer schwarzen stinkenden Wolke, die unter unserem Wohnmobil hervorquoll. Da standen wir nun, auf der Ostseite des Loch Carron, mitten in den schottischen Highlands und die nächste auch nur winzige Ortschaft war mehrere Kilometer entfernt. Nachdem wir Netz hatten, suchten wir erstmal Hilfe beim ADAC. Schließlich warben sie damit, dass sie für ihre Mitglieder auch im europäischen Ausland verfügbar waren. Ihre Hilfe bestand jedoch nicht darin ein gelbes ADAC-Auto vorbei zu schicken, sondern lediglich in einer Auskunft wo die nächsten Fiat-Werkstätte zu finden sei. Das half uns wenig weiter, denn unser Untersatz ließ sich aus eigener Kraft kaum noch bewegen, geschweige denn eine Strecke wie die 100 Kilometer bis nach Inverness oder gar 200 Kilometer bis nach Oban bewältigen.

Immerhin hatte sich der Rauch verzogen und wir versuchten unser Glück, wenigstens bis zur nächsten Ortschaft zu kommen. Das Wohnmobil sprang an, ein Gang ließ sich nur mit großer Mühe einlegen und wir fuhren langsam weiter bis nach Straithcarron. Der Ort bestand aus ein paar wenigen Häusern, nebst Hotel und einer kleinen Bahnstation. Aber keine Werkstatt. Doch als wir wieder aufbrechen wollten, sprang das Wohnmobil nicht mehr an. Da waren wir nun, gestrandet wie ein Wal an einen der ruhigsten Orte von Schottland.

Nebelstimmung am Loch Carron

Gestrandet im Nirgendwo

Zufällig fiel einem Passanten, der schon in dieser entlegenen Gegend ein Wunder für sich war, unsere missliche Lage auf. Er gab uns den Tipp es im 5 Kilometer entfernten Lochcarron zu versuchen. Neben einer Tankstelle wurde dort auch eine Werkstatt betrieben. Allerdings müssten wir uns beeilen, da die Werkstatt bald schließen würde. Gut, dass wir Fahrräder dabei hatten. Flux radelte einer von uns zur Werkstatt und kam kurz darauf mit dem Werkstattbesitzer und dessen Jeep zurück. Der ältere Mann sah sich kurz unser Wohnmobil an und bestätigte, was wir schon vermuteten: Die Kupplung war hinüber. Als es darum ging das er uns abschleppen musste, fragte er uns mit ernster Stimme: „Are you sure you can handle this?“

Wir waren verwirrt. Natürlich konnten wir damit umgehen. Es war ja nicht das erste Fahrzeug, dass wir mit einem Seil abschleppten. Wobei es unser erstes Wohnmobil war. Etwas mulmig wurde uns eher beim Anblick des recht kurzen Abschleppseils. Aber was blieb uns anderes übrig und schon waren wir auf der Single-Track-Road Richtung Werkstatt unterwegs.

Dabei lernten wir auch schnell, was es bedeutete einen Wal, wie dieses riesige Wohnmobil, abzuschleppen und vor allem was der gute Mann mit seiner Frage meinte. Ohne laufenden Motor funktionierte der Bremskraftverstärker nicht. Sobald der ältere Herr, der recht flott unterwegs war, rasant in eine der Passing Places stieß, um dem Gegenverkehr auszuweichen, hatten wir unsere liebe Not nicht hinten aufzufahren. Zu guter Letzt kamen wir unversehrt bei der Werkstatt an und parkten in mühevoller Handarbeit das Wohnmobil auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Dann war erstmal Feierabend.

Auch am nächsten Tag, einem Sonntag, passierte nicht viel. Petrus ließ es sich jedoch nicht nehmen und drehte uns in unserer Notlage auch noch die lange Nase. Traumhaftes Wetter, zum Fotografieren und wir saßen fest. Selbst Wandern, war leider nicht möglich, da sich Stefan erst ein paar Tage zuvor den Fuß schwer verletzt hatte und kaum auftreten konnte.

Am Montagmorgen war schließlich der Werkstattbesitzer wieder da und nahm unsere Daten auf. Schon bald stellte sich heraus, dass es in ganz Schottland keine Kupplung für unseren Fiat Ducato auf Vorrat gab. Anscheinend auch nicht in den vom ADAC empfohlenen Fiat-Werkstätten in Oban oder Inverness. Wir saßen also noch länger fest, während irgendwo in Italien jemand eine Fiat-Kupplung auf den Weg schickte.

Der Werkstattbesitzer befeuerte zusätzlich unser Stimmungstief, als er beiläufig anmerkte, dass es durchaus möglich sei, dass die Italiener die falsche Kupplung schicken könnten. Wir hofften erstmal, dass an beiden Enden des Hörers keine Fehler bei der Aufnahme der Bestelldaten unterlaufen waren und schon die richtige Kupplung hier ankommen würde.

Bei dem ganzen Unglück konnten wir wenigstens noch von Glück sprechen, das wir noch nicht am Ende unseres Urlaubs angelangt und in Zeitnot waren. Eine Woche stand uns noch zur Verfügung, die wir eigentlich im nördlicheren Schottland verbringen wollten, bevor es wieder zurück nach Hause in den Alltag ging. So richteten wir uns also auf mehrere Tage Wartezeit ein, die uns freundlicherweise der Werkstattbesitzer erleichterte. Er bot uns einen seiner alten Autos als Leihwagen an, so dass wir wenigstens noch ein bisschen von der umliegenden Gegend sehen konnten. Einzige Bedingung war, ihn am Ende wieder aufgetankt zurück zu geben.

Am Mittwoch erfuhren wir dann im Laufe des Vormittags, dass sogar zwei Kupplungen in Inverness eingetroffen waren. Die Freude währte jedoch nicht lange. Der Kurierfahrer, der die Kupplung nach Lochcarron bringen sollte, war krank und es gab keine Vertretung. Wie viel Pech kann man eigentlich haben?! Spontan boten wir an, die Kupplung selbst mit dem Leihwagen aus Inverness zu holen. Gesagt, getan. Bereits am späteren Nachmittag waren wir mit der richtigen Kupplung zurück.

Doch schon stellte sich ein neues Problem: Für die kleine Halle der Dorfwerkstatt war unser Wohnmobil schlicht zu groß. Es blieb nur eine Betonrampe mit Graben neben der Werkstatthalle. Ohne Motor war es aber nicht so leicht, das große Wohnmobil auf die Rampe zu schaffen. Zum einen lag zwar die Zufahrt der Rampe am Fuße eines Hügels und zum anderen aber ungünstig in einer Kurve. Wir, der Werkstattbesitzer und sein Lehrling, mühten uns den restlichen Nachmittag ab, um den „Wal“ in Position zu bringen, was beinahe auch in einer sich in Rauch auflösenden Kupplung des ziehenden Jeeps mündete. Als es Dunkel wurde, war es schließlich vollbracht und am nächsten Morgen sollte der 7 bis 8 Stunden Reparatur-Marathon für den Kupplungstausch beginnen.

Morgens kurz nach 8 Uhr war es soweit und wäre beinahe sogleich wieder ins Wasser gefallen. Es regnete und der Mechaniker (der Sohn des Werkstattbesitzers) wollte das Wohnmobil nicht im strömenden Regen reparieren. Nachdem Regen eigentlich ein Synonym für schottisches Wetter war, dachten wir irgendwie auch den Schotten selbst würde das widrige Wetter nichts ausmachen. Wir wurden eines Besseren belehrt. Doch auch davon ließen wir uns nicht unterkriegen und wieder einmal zahlte sich aus, dass wir mit großem Gepäck reisten. Wir zogen eine große Malerplane aus unserem Transportkisten hervor und spannten sie mit Hilfe unserer Stative über die Vorderseite des Wohnmobils. Die drei Schotten schüttelten nur verwundert den Kopf und wollten wissen, warum wir so etwas mit in den Urlaub nahmen. Wir grinsten und meinten nur: „Wir dachten, wir könnten es brauchen“. Mechaniker und Lehrling machten sich ans Werk, während der Werkstattbesitzer hin und wieder nach dem Rechten sah. Gegen Mittag war die verschmorte Kupplung ausgebaut und pünktlich zum Feierabend fuhr das Wohnmobil aus eigenem Antrieb von der Rampe herunter. Lediglich zwei Schrauben waren übriggeblieben und hinterließen ein Stirnrunzeln bei uns und den Schotten.

Doch trotz fehlender Schrauben kamen wir und der Wal wohlbehalten in München an. Warum die Kupplung letztendlich kaputt gegangen ist, konnte nicht zweifelsfrei geklärt werden. Vielleicht war sie schon vorher defekt gewesen. Am Ende bekamen wir die Kosten für die Reparatur komplett erstattet und abgesehen von der verlorenen Zeit, als wir dort gestrandet waren, hatten wir keine Verluste zu beklagen. Im Gegenteil. Wir lernten ein paar sehr nette Schotten kennen und hatten sogar noch eine gute Geschichte zu erzählen.