Schottische Lowlands



Wenn wir an Schottland denken, fallen uns unweigerlich die geschichtsträchtigen Burgruinen ein, die zumeist in einer atemberaubenden Landschaft eingebettet sind. So mag vielleicht auch der eine oder andere erwarten, dass die Grenze von England nach Schottland mindestens genauso eindrucksvoll anzuschauen ist. In Wirklichkeit ist sie heutzutage ziemlich unspektakulär: Lediglich ein braunes Schild am Straßenrand heißt den Reisenden in Schottland Willkommen. Aber es gab tatsächlich eine Grenzmauer, die sich von der Westküste quer durch das Land bis zur Ostküste zog: den Hadrianswall. Die Überreste der Mauer, die einst vor fast 2.000 Jahren von den Römer errichtet wurde, liegen ein gutes Stück weiter südlich, als die heutige Grenze und diente dem „Game of Thrones“-Schöpfer George R.R. Martin als Inspiration zu seiner gewaltigen Eismauer. Wobei der Hadrianswall nicht annähernd die Ausmaße der Mauer im Buch, bzw. der Serie besaß.

Der südliche Teil des Landes, die Lowlands, haben auch so gar nichts mit dem rauen Land zu tun, das man mit Schottland in Verbindung bringt. Denn die Lowlands sind das Gegenteil der wilden und urwüchsigen Highlands. Statt rauer Berggipfel und einsame Seen, entdecken wir eine saftige, sanft geschwungene Hügellandschaft und goldene Getreidefelder. Mäandernde Flüsse wie der Tweed vervollkommnen das Bild der romantischen Landschaft. Kaum zu glauben, dass diese Region einst Schauplatz der blutigen und kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen England und Schottland waren. Dagegen können wir uns sehr viel eher vorstellen, wie einst Sir Walter Scott auf dem Hügel, der heutzutage als Scotts View bekannt ist, saß und sich zu seinen Gedichten inspirieren ließ.

Vor den südlichen Toren Edinburghs treffen wir auf Rosslyn Chapel. Die kleine Kapelle erlangte einen großen Bekanntheitsgrad, nachdem der Roman Sakrileg (The DaVinci Code) von Dan Brown zum Bestseller avancierte und ein paar Jahre später verfilmt wurde. Der daraus resultierende Besucheransturm ist aber wohl auch den Eigentümern zu Kopf gestiegen. Die Eintrittspreise sind mehr als nur gesalzen. Für 9 Pfund (Stand 2018) kann man die Kapelle, die gerade mal eine Länge von 20 Metern und eine Höhe von 12 Metern misst, besichtigen. Bei hohen Besucherandrang macht es keinen großen Spaß, wenn man sich durch die engen Gänge drängeln muss, um die mystischen Steinmetzarbeiten in Augenschein zu nehmen. Fotografieren ist im Inneren strengstens verboten. Es gibt auch keine Foto-Permit zu kaufen, die einem das fotografieren erlauben würde. Lediglich Außenaufnahmen sind gestattet, aber wahrscheinlich nur, weil sich dies nicht so strickt untersagen lässt, wie im Inneren der Kapelle, wo das Personal einem ständig auf die Finger schaut. Wer dennoch gerne Bilder haben möchte, kann sich für viel Geld Bildbände und andere Souvenirs im vorgelagerten Visitor-Center kaufen, das fast so groß ist wie die Kapelle selbst. Wir müssen gestehen, nach Dan Brown's Schilderungen erwarteten wir eine größere Kapelle, die im Buch auch sehr viel spektakulärer erschien, als sie es tatsächlich ist. Dermaßen ernüchtert ziehen wir es dann doch eher vor die Landschaften der Lowlands zu genießen, als die hoffnungslos überrannten Touristenziele.

Doch nicht immer kommen wir an den touristischen Zielen vorbei. Denn auch sie machen das Land aus, dass wir besuchen und fotografieren wollen. So statteten wir gleich bei unserer ersten Reise Edinburgh einen Besuch ab. Eine schöne Stadt mit vielen alten Straßen, Gassen und Gebäuden, über die die gleichnamige Burg thront. Selbstverständlich gehörte dann auch die Besichtigung der Burg dazu. Wir lasen im Vorfeld von der berühmten One O'Clock Gun, die täglich (außer sonntags) vom District Gunner abgefeuert wird. So standen wir kurz vor 13 Uhr bereit, als der amtierende District Gunner im Stechschritt aufmarschierte, um die relativ moderne Feldkanone abzufeuern. Für das Foto hätten wir fast einen zweiten Versuch benötigt, denn der Knall war so unerwartet laut, dass wir beide vor Schreck die Kamera verrissen.  
Was uns bei unserer Planung für den Aufenthalt in Edinburgh damals ebenfalls nicht ganz bewusst war, war das Fringe Festival. Natürlich hatten wir darüber gelesen, dass sich alljährlich im August tagsüber Schauspieler, Straßenkünstler und andere darstellende Künste auf der Royal Mile tummelten. Aber irgendwie war uns entgangen, dass es sich dabei um das weltweit größte Kulturfestival handelt. Mit ihren Verkleidungen, als auch Darbietungen werben die Akteure eifrig für ihre abendlichen Vorstellungen, die sowohl in Theatern oder anderen größeren Räumlichkeiten bis hin zum kleinen Wohnzimmer stattfinden. Wer sich ins Gedränge des Festivals wirft, sollte jedoch vorgewarnt sein. Es geht zu wie auf dem Münchner Christkindlmarkt kurz vor Weihnachten.
Zeitgleich mit dem Fringe Festival findet auch allabendlich das Royal Edinburgh Military Tattoo statt. Spontan entschieden wir uns, wenn wir schon mal da waren, dem Tattoo, das direkt vor den Toren der Burg stattfindet, ebenfalls einen Besuch abzustatten. Leider zahlt sich Spontanität nicht immer aus. Die Karten sind bereits weit vorher ausverkauft. Ein Hoffnungsschimmer bot sich uns, als uns ein Einheimischer erzählte, dass man sich früh morgens an den Ticketschaltern anstellen und eine der zurückgegebenen Tickets ergattern könnte. Wir hatten uns schon fast in der Warteschlange gesehen. Die Ernüchterung lieferte uns der nette Herr jedoch gleich mit: Man steht bis zu 5 Stunden an, um vielleicht mit sehr viel Glück eine dieser heißbegehrten Karten zu ergattern. Das war uns dann doch etwas zu viel Aufwand für ein vielleicht und wir zogen es vor, statt die Nacht in der Warteschlange, doch im Bett zu verbringen und lieber den nächsten Sonnenaufgang auf dem Land zu genießen.

Nördlich von Edinburgh reichen die Lowlands an der Ostküste noch bis hinauf zum Firth of Murray, wo auch Inverness liegt, während das Inland und die Westküste bereits zu den schottischen Highlands zählen. Auf unserer ersten Reise erkundeten wir noch diesen Teil der Lowlands. Vor allem wegen den spektakulären Ruinen von Dunnottar Castle. Doch dort oben im Norden zeigen sich die Lowlands für unseren Geschmack etwas zu eintönig: Flaches Land, dass hauptsächlich für die Landwirtschaft, wie Getreideanbau genutzt wird, durchsetzt von einfachen Dörfern und Kleinstädten. Abgesehen vom Linksverkehr kamen wir uns fast so vor, als ob wir durch die ländlicheren Gegenden Deutschlands fuhren und nicht durch Schottland. So hofften wir wenigsten auf ein paar gute Aufnahmen bei Dunnottar Castle, aber da machte uns mal wieder Petrus einen Strich durch die Rechnung. Nachdem die nördlichen Lowlands in unseren Augen nichts zu bieten haben, verzichteten wir bisher auf einen zweiten Versuch, das Castle noch einmal mit besseren Wetterverhältnissen zu fotografieren. Für dieses einzelne Motiv ist uns die Anreise doch etwas zu langwierig und die schottischen Highlands auf der anderen Seite des Landes, haben einfach noch einiges zu bieten.